Innere Welten

Federleicht
Federleicht

Wie innere Bilder sichtbar werden

Vor mir liegt eine weiße Fläche, viel Weiß, unberührt, ein einladendes helles Feld. Ich habe mich ihm schon einige Male genähert, aber es war noch nicht für mich bereit, oder ich war noch nicht für es bereit. Jetzt drängt es mich dazu, es zu bebauen. Ich horche in mich hinein. Was treibt mich an? Welche Gefühle herrschen vor? Welche Farbe passt dazu?

 

Ein zartes Orange, ein erster warmer Glanz. Schnell auftragen, verwischen. Erst einmal ausprobieren. Das Stimmungsgefüge, das ich spüre, ist diffus, aber erregend und sehr flüchtig. Schnell hinterher, bevor es unwiederbringlich verloren ist. Ein zartes Blau legt sich über das Weiß, hinzu ein leichtes Rosé. Rasch gemalt. Die Farben beginnen, ineinander zu fließen, vermengen sich zu Zwischentönen, werden wolkig und leicht plastisch. Entspricht dies meinem inneren Bild? Was suche ich?

 

Hier und da bilden sich Konturen. Sieht das nicht aus wie eine Nase? Und das wie eine Stirn? Schnell ein paar Akzente setzen und schon ist

ein neues Gesicht zum Leben

erweckt und schaut fragend oder nachdenklich, traurig oder neugierig aus seiner noch unbestimmten Welt heraus. Ich habe dieses Gesicht noch nie gesehen. Aber jetzt ist es wahrhaftig. Merkwürdig. Sagt es mir was? Noch nicht...

 

So kommt vieles empor. Ich sichte neben eher Alltäglichem auch bizarre Formen, aus meinem Ideenmeer gefischt, ganz wie die Laune es befiehlt. Weiter im Vordergrund kommt jetzt ein wenig Grau ins Blau, ein wenig Weiß, kreisend verrieben. Nun schweben da oben Wolken. Kontraste müssen hinein, feine Abstufungen. Ein neuer Himmel ist erschaffen. Düster, erdrückend oder gewaltig, grandios oder leicht und heiter? Das lasse ich meine Stimmung entscheiden.

 

Ein Thema erscheint vor meinem in- neren Auge. Weit unter den Himmel muss die Erde. Sie hätte auch über oder neben ihm stehen können. Auf den dahinterliegenden Sinn kommt es hier an, nicht auf ein reales Abbild. Vor der fertig errichteten Kulisse breitet sich eine seltsame Landschaft aus. Ich kenne sie nicht.


Kann ich sie deuten?

 

Stück für Stück wächst etwas aus ihr heraus, Wesen, Behausungen und Eigenartiges, für das sich nicht sofort eine Kategorie finden lässt. Jedes Gebilde hat ein Eigenleben, das sich langsam mit dem des anderen verwebt. Einige Dinge beginnen sich mir zu erklären, andere bleiben im Verborgenen. Im Hintergrund der Kulisse geht jemand am Strand, noch allein, bald aber unbemerkt beobachtet von fremden Wesen, die sich jäh den Raum zwischen Himmel und Erde erobern, um geheimnisvoll in dem neuerschaffenen Universum mitzuwirken und dessen Tiefen auszuloten.

 

Unwägbares liegt neben Beständigem, Finsternis neben strahlender Helle, Dramatik neben Beschaulichkeit. Es gehört  zusammen, hält sich für einen Moment die Waage, fängt an zu pendeln und bildet mit den errungenen Einsichten die treibende Kraft, Fäden zu spannen für die Zukunft.


Petra Matthaei, Hannover 2o14